Was, wenn dein Purpose gar nicht du bist – sondern deine Traumastruktur?
Ich frage mich das immer wieder – gerade als Selbstständige mit all dem Druck und Stress, der damit einhergeht.
Denn wenn wir mal ehrlich sind: Wenn wir unsere Wirtschaft wirklich konsequent von allen Bullshit-Produkten und -Dienstleistungen befreien würden – also von allem, was nicht zu unserem ehrlichen Glück im Leben beiträgt –, dann bliebe wahrscheinlich nur noch ein Zehntel von dem übrig, was aktuell produziert und erschaffen wird. Vielleicht sogar weniger.
Neulich saß ich mit Kolleg:innen zusammen, und wir haben uns über Trauma und Prägung ausgetauscht. Wir sprachen darüber, dass ein kindliches Nervensystem sich beginnt anzupassen, wenn das Gegenüber – etwa die Eltern – nicht in der Lage ist, sich auf die individuellen Entwicklungsbedürfnisse des Kindes einzustimmen oder mit liebevollem, resonanzfähigem Kontakt zu reagieren.*
Im Kern bedeutet das für die Entwicklung des Selbst: Ich gebe etwas von mir auf, um mich an die Realität der Bezugsperson anzupassen. Denn als kleines, existenziell abhängiges Wesen ist es nicht möglich, zwei Wahrheiten gleichzeitig in sich zu halten. Diese Fähigkeit entwickeln wir ungefähr zwischen neun und zwölf Jahren. Bis dahin gilt das Gegenüber als Wahrheitsbarometer – auch für die eigene Wahrheit.
Das heißt: Wenn ich als Kind einen natürlichen Impuls in die Elternbeziehung einbringe – und dieser Impuls wird nicht gesehen, nicht gespürt, nicht gehört – und das geschieht immer wieder, strukturell –, dann beginnt mein Nervensystem, sich anzupassen. Daraus entstehen Muster wie:
„Ich verhalte mich so, wie du denkst, dass es richtig ist.“
„Ich teile meine Meinung nicht – vielleicht kenne ich sie gar nicht, weil ich es nie gewohnt war, dass sie zählt.“
Oder: „Ich muss es besonders gut machen. Oder besonders laut sein. Denn offenbar habe ich es bisher falsch gemacht – sonst wäre ich ja gesehen, gehört oder gefühlt worden.“
Was also, wenn so viele – mich eingeschlossen – unfassbar viel Aufwand in Gründung, Geschäftsbeziehungen oder Produktentwicklung stecken, weil sie eine tiefe Sehnsucht in sich tragen? Die Sehnsucht, mit dem wahren Kern in der Welt aufzutauchen. Und mit Welt meine ich eigentlich: ein liebevolles, resonanzfähiges Gegenüber.
Wie würde unser kapitalistisches Wirtschaftssystem aussehen, wenn diese Sehnsüchte erfüllt wären? Was bräuchten wir dann wirklich noch – von all diesen Produkten, Klamotten, Social-Media-Plattformen und Dienstleistungen?
Auch in mir gibt es eine Traumastruktur, die die Welt „braucht“, um sich sicher zu fühlen. Und wie das mit gut eingeschliffenen Mustern so ist: Es braucht viel Verlernen, Loslassen und Neuentdecken.
Was ich gerade ausprobiere, ist:
Diese Dynamik in mir zu erkennen und benennen zu lernen.
Mein Bedürfnis nach Gesehenwerden und Sicherheit in kleinerem Rahmen zu erfüllen.
Regelmäßig zu prüfen, welche Impulse wirklich meiner Zielgruppe dienen – und welche einer alten Kontaktsehnsucht entspringen.
Mir verschiedene Gegenüber zu suchen, die meine Anpassungsmuster erkennen – und mich darin unterstützen können, langsam hinauszuwachsen.
Kennst du dieses Muster von dir selbst? Wie gehst du damit um?
Ich freue mich auf deine Resonanzen.
*Dies ist nicht als Vorwurf an Eltern gemeint, sondern dient vielmehr dem Sichtbarmachen, wie sich Entwicklungsstrukturen bilden – gerade dann, wenn das erwachsene Gegenüber selbst bestimmte Formen von Kontakt bisher nicht erfahren hat. Oft werden Beziehungsmuster über Generationen hinweg weitergegeben.